Deutscher Suchtkongress
Bd. 2 Nr. 1 (2025): Deutscher Suchtkongress
https://doi.org/10.18416/DSK.2025.2333

Innovative Wege, neue Zielgruppen zu erreichen (S38), ID 2333

Komplexität statt Klarheit – Warum wissenschaftliche Politikberatung zum Thema Sucht unwägbar ist und worin die Kommunikationsherausforderungen des Policy Making liegen

Hauptsächlicher Artikelinhalt

Eva Baumann (Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Hannover Center for Health Communication am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung)

Abstract

Hintergrund und Fragestellung
Der Kampf gegen die schwerwiegenden Folgeprobleme des Suchtmittelkonsums ist ohne Verhältnisprävention aussichtslos und der politische Handlungs- und Regulierungsbedarf hoch. Dies wird in zahlreichen, auf wissenschaftlicher Evidenz basierenden Strategiepapieren und Aktionsplänen von der kommunalen bis zur europäischen und globalen Ebene formuliert, aber es scheitert an der Umsetzung, weshalb der Drogen- und Suchtpolitik aus guten Gründen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt wird.

Methoden
Am Beispiel Alkoholsucht nimmt der Vortrag die Herausforderungen der politischen Wissenschaftskommunikation in den Blick und illustriert dies anhand praktischer Erfahrungen aus der Politikberatung. Ergänzend wird die von der Suchthilfe, Selbsthilfe, Verbänden und Initiativen sowie der Forschung über Stellungnahmen, Policy Paper und Memoranden an die politischen Akteure gerichtete Kommunikation einbezogen.

Ergebnisse
Es braucht eine auf interdisziplinärer wissenschaftlicher Evidenz basierende, von Wahlperioden unabhängige und sektorenübergreifende Politikberatung, die verschiedene Politikfelder integriert und nicht mit der Formulierung von Aktionsplänen endet, sondern die Prozesse der politischen Entscheidungsfindung und Umsetzung einschließlich der zielgruppenorientierten Vermittlung begleitet. Dabei sind auch die in der Bevölkerung und den Medien geführten Diskursdynamiken einzubeziehen.

Diskussion und Schlussfolgerung
Bislang scheinen die Beharrungskräfte so stark, dass man die kurzfristig unpopulären Folgen und volkwirtschaftlichen Verschiebungen von Kräfteverhältnissen einer konsequenten Regulierung nicht bereit ist, gegen die langfristigen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Benefits zu rechnen. Dahinter steht eine starke Lobby der Alkoholindustrie, die Verwobenheit mit weiteren Branchen sowie die mit dem Bekenntnis zum Wein und Bier hergestellte „Volksnähe“, fehlendes Problembewusstsein von Politiker*innen und das gängige Kategoriendenken, das den „genussorientierten Konsum“ kultiviert, aber Alkoholabhängige stigmatisiert. Hinzu kommt, dass die kritischen Stimmen medial noch nicht so präsent sind, dass dies auf das politische Agenda zurückwirkt.
Dafür gilt es, die wissenschaftliche Politikberatung und die weiteren Strategien und Formate der Wissenschaftskommunikation weiterzuentwickeln, die auch in Bottom-Up-Prozessen durch Akteure der Prävention und Suchthilfe sowie der „Sobriety-Bewegung“ einschließlich der Medienakteure entstehen und für die es bereits zahlreiche gute Beispiele gibt.

Interessenskonflikte sowie Erklärung zur Finanzierung
Ich bzw. die Koautorinnen und Koautoren erklären, dass während der letzten 3 Jahre keine wirtschaftlichen Vorteile oder persönlichen Verbindungen bestanden, die die Arbeit zum eingereichten Abstract beeinflusst haben könnten.

Artikel-Details

Zitationsvorschlag

Baumann, E. (2025). Komplexität statt Klarheit – Warum wissenschaftliche Politikberatung zum Thema Sucht unwägbar ist und worin die Kommunikationsherausforderungen des Policy Making liegen. Deutscher Suchtkongress, 2(1), 2333. https://doi.org/10.18416/DSK.2025.2333